Interview mit Doris Steinbeißer und mir

Schwetzinger Zeitung vom 4.9.2015

„Der Trend geht zur Zweisprachigkeit“

Im Doppel-Interview: Die Mundart-Experten und gebürtigen Kurpfälzer Charly Weibel und Doris Steinbeißer über das Thema Dialekt im 21. Jahrhundert

Von unseren Redaktionsmitglieder Carina Troll und Katharina Schwindt

Region. Jede Region hat ihre Eigenheiten. Auch in Sachen Sprache: die Mundart. Über die Generationen hinweg geht der Dialekt jedoch mehr und mehr verloren. Doris Steinbeißer und Charly Weibel setzen sich für dessen Erhaltung ein. Im Interview erzählen sie von ihrer Leidenschaft.

Was ist das Besondere am kurpfälzischen Dialekt?

Charly Weibel: Das ist die gedehnte, breite Aussprache. Das Ziehen von Vokalen. Man merkt, dass wir viel Zeit haben beim Schwätzen (lacht). Keine Hektik in der Sprache.


Infos zu den Mundart-Experten + Verlosung

Charly Weibel: Der 58-jährige Polizist aus Reilingen tritt seit 1998 als Mundart-Künstler auf. Davor war er Rocksänger, wollte aber lieber in Dialekt singen. Er gewann mehrere Preise, zuletzt den zweiten Platz beim Mundart-Wettbewerb „De Gnitze Griffel“ in der Kategorie „Lieder“.

Doris Steinbeißer: Die 55-jährige Journalistin stammt aus Ketsch und arbeitet beim SWR. Mit ihrem Kollegen Eberhard Reuß gibt sie in der Radiosendung „Kurpälzisch fer Neigeplackte“ regelmäßig Dialekt-Nachhilfe.

Verlosung: Zu gewinnen gibt es fünf Exemplare von Charly Weibels neuem Album „Johr um Johr“. Einfach bis 20. September eine E-Mail mit dem Stichwort „Dialekt“ an sz-gewinnspiel@schwetzinger- zeitung.de senden.


Doris Steinbeißer: Die Satzmelodie ist toll, das hat etwas Grooviges. Natürlich gibt es ganz eigene Wörter im Dialekt und von der Grammatik her bestehen Unterschiede zur Hochsprache.

Wie unterscheidet sich Kurpfälzisch von anderen pfälzischen Dialekten?

Weibel: Das Pfälzische und Kurpfälzische sind sich durch die 700 Jahre Kurpfalz, die wir zusammen durchlebt haben, ähnlicher als viele andere Dialekte aus der Umgebung. Unterschiede zeigen sich nur in einzelnen Wörtern. Steinbeißer: Das ist richtig. Dennoch hat jede Gemeinde, jede Stadt einen eigenen Dialekt. In Ketsch sagen wir „ich bin gewesst“, in Hockenheim, „ich bin gwesst“.

Was lässt sich besser im Kurpfälzischen ausdrücken als im Hochdeutschen?

Weibel: Grundsätzlich schon mal alle Schimpfwörter, die sind in der Muttersprache schneller gesagt und kommen mehr auf den Punkt. Wenn man Glück hat, versteht der andere den Ausdruck nicht, dann droht einem keine Beleidigungsklage (lacht). Mein Lieblingsbuchstabe ist übrigens das „ea“ wie im französischen Namen „Jean“.

Was verbinden Sie persönlich mit diesem Dialekt? Sind Sie damit aufgewachsen?

Steinbeißer: Das Kurpfälzische ist die Sprache meiner Kindheit. Als Joy Fleming anfing zu singen und unser Dialekt im Rundfunk und Fernsehen zu hören war, klang das für mich irgendwie peinlich. Wir waren nicht wie die Bayern, die stolz auf ihren Dialekt waren. Heute finde ich das gar nicht mehr schlimm. Unser Singsang passt gut zur Musik.

Weibel: Ich war früher Rocksänger, aber dann habe ich jemanden in Dialekt singen gehört und dachte mir, „das kannst du auch oder sogar besser“. Also fing ich an, mich intensiver mit der „Sproch“ zu beschäftigen. Davon abgesehen bin ich in Reilingen verwurzelt und auch mit dem Dialekt aufgewachsen. Ich sage immer, „Reilingen is mei Lewe, mei Heimat und mei Sproch“.

Gibt es neben dem Kurpfälzischen noch einen Dialekt, den Sie gern beherrschen würden?

Steinbeißer: Ich würde gern Plattdeutsch können. Das klingt toll. Aber das ist ja kein Dialekt, sondern eine eigene Sprache. Schweizerdeutsch finde ich auch schön.

Weibel: Saarländisch finde ich ganz witzig: „Hamma gess und getrunk.“ Wenn man etwas weglassen kann, ist das immer gut, spart Zeit.

Können Sie bestätigen, dass Dialekte immer mehr aussterben?

Steinbeißer: Leider ja. Die Frage, wer noch Dialekt spricht, ist interessant. Den besten Mannheimer Dialekt sprechen etwa die jungen Türken in der Filsbach, wie mir ein Sprachwissenschaftler vom Institut für Deutsche Sprache einst mitteilte. Die ersten Gastarbeiter hätten nur diesen Dialekt gelernt, da sie mit Menschen zusammenarbeiteten, die von morgens bis abends Dialekt sprachen. Heute verlassen die Menschen ihr Umfeld und haben als gemeinsame Sprache das Hochdeutsche.

Mundart retten – welchen Beitrag leisten Sie?

Weibel: Ich mache alles dafür! Ich bin regelmäßig als Mundart-Künstler in der Region unterwegs. Im Jahr 1998 habe ich angefangen. Seitdem unterhalte und singe ich in Mundart, vor kurzem habe ich meine vierte CD „Johr um Johr“ herausgebracht.

Steinbeißer: „Kurpälzisch fer Neigeplackte“ – das ist eine Mundart-Serie, die ich gemeinsam mit meinem SWR-Kollegen Eberhard Reuß mache. Dabei reden wir in breiter Mundart über den Alltag in der Region.

Unterstützt Ihre Familie Sie in dem, was Sie tun?

Steinbeißer: Meine Familie hat früher nur Dialekt gesprochen. Ich bin eben zweisprachig aufgewachsen, sage ich immer. Mit meinen Eltern rede ich auch heute nur Dialekt. Ich kann Hochdeutsch und Kurpfälzisch fließend.

Weibel: Meine Frau spricht an sich Hochdeutsch, meine Kinder Dialekt und Hochdeutsch. Aber wenn es mal schnell gehen muss, kommt auch bei ihnen eher der Dialekt zum Einsatz. Dialekt schwätzt man eben aus dem Bauch heraus und das Hochdeutsche geht immer über den Kopf.

Finden Sie, dass Dialekt sexy ist?

Weibel: Aber natürlich ist er das! Was meinen Sie? Dieses Urwüchsige kann einen positiven Eindruck machen, während jemand, der Hochdeutsch redet, vielleicht gestelzt rüberkommt. Je nachdem, was für einen Typ Mensch man eben sucht (lacht).

Steinbeißer: Zumindest sind die Zeiten, in denen Dialekt verpönt war, vorbei. Früher hieß es, Dialektsprecher sind dumm und ungebildet. Heute haftet dem Dialekt etwas Komisches an, es ist die Sprache der Comedians und Kabarettisten. Dialekt ist eine eigenständige Sprache, die aber hauptsächlich in der Freizeit benutzt wird.